Erdbeeren

In Casablanca hatten wir ein Hotel am Rande der Medina. Das Zimmer hatte einen kleinen Balkon mit Blick auf den Hafen auf dem wir in den wenigen Tagen, die wir dort waren viel saßen und erzählten. Meine beste Freundin hatte ich fast zwei Jahre nicht gesehen – Gesprächsstoff fand sich immer und wenn nicht dann chillten wir halt einfach, versanken in unseren Büchern oder versuchten uns zu einer Entdeckungstour aufzuraffen. Diese sahen dann nicht selten so aus, Disney-Theme-Songs aus der Jugend singend durch die marokkanischen Straßen zu trotten.

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Von einer dieser Touren kamen wir bepackt mit frischen Erdbeeren, Datteln und Gebäck im Hotel an und machten es uns wieder auf dem Balkon gemütlich.

Soweit ich zurückdenken kann war ich fasziniert vom Reisen. Als Kind war ich mit den Eltern auf Busreisen und Camping, aber selten weiter weg als in eins der Nachbarländer. Als Jugendlicher habe ich bei einem 2 Wochen USA-Austausch Blut geleckt, aber in den Jahren danach selten viel Unterwegs gewesen, aber immerhin 2 halbe Jahre im Ausland gearbeitet. Oft hatte ich aber keine Zeit, war müßig oder knauserig. Besonders alleine verreisen ging mir früher ab, während sich ReisemitstreiterInnen nie fanden. Bis Marokko – sie fragte mich ob ich mit will und es war keine andere Antwort als Ja möglich.
Ich habe alle Freiheiten, ungebunden, Jobsicherheit, Geld, Zeit, Träume und oft genug auch das Können das Meiste zu realisieren. Aber gereist bin ich bis dahin wenig.

Wir saßen auf dem Balkon und naschten von unserem Markteinkauf. Sie erzählte von einem Bekannten, der mit Ende 20 dieselben Freiheiten hat, nutzt und wie blöde reist. Soviel mitnehmen und sehen wie es geht – so eine Lebenssituation ist eine Chance, die es nicht zu verpassen gilt. Das sah ich ein.

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Wir hatten noch 10 Tage Marokko vor uns. Heute ist das über 3 Jahre her, seit dem war ich alle halbe Jahr für mindestens eine Woche weg, habe 14 Länder bereist und dabei eine Distanz einmal um den Globus zurück gelegt. Ich mache mir eine geile Zeit. Mal alleine, manchmal lerne ich unterwegs Stranger dangers kennen. Manchmal nehme ich jemanden mit. Mit jeder Reise kann ich mehr, werde mutiger, sicherer. Erlebe Neues, entdecke Grenzen und reiße andere nieder. Bin eigenständig, unabhängig, niemandem Rechenschaft schuldig, frei.

Und doch fühlt es sich sehr häufig als wäre es nur ein Zeitvertreib beim Warten auf was anderes.

Ich griff wieder nach den Erdbeeren.

Gedanken aus Marokko Teil 3

Noch ein paar lose Gedanken geknüpft an einige Bilder meiner Marokko-Reise im März.

Serpentinen durch das Atlas-Gebirge.

Der Atlas beginnt knapp 30-40 km südlich von Marrakesch und von der Stadt aus sieht man entfernt die Silhouetten der Berge am Horizont. Die Berge werden sehr schnell sehr hoch, so dass gleich die erste Reihe Berge von über 1km sind. Ist man auf einem Berg dieser ersten Reihe hat man freien Blick in die Weite des Flachlands nördlich des Atlas:

Dieses Bild hat mich eine Zeit lang verfolgt, weil ich wissen wollte, wie weit es hier eigentlich bis zum Horizont ist. Es gibt einen Knorkator Song, wo sie im Lied die Rechnung aufstellen, wie weit das für einen 1.7m Menschen auf einer vereinfachten Kugel wäre. Da mir dies zu vereinfacht war, hab ich mir dann eine Bestimmung anhand der Entfernungen von bekannten Orten auf dem Bild ausgearbeitet. Ich kam damit für dieses Bild auf etwa 50km bis zum Horizont.

Ãœber einem kleinen Bergdorf südlich von Marrakesch:

Der Djamma El-Fna bei Nacht. Der Dampf steigt auf von den Essensbuden. Nirgendwo sind die Verkäufer so penetrant und versuchen dich an die Seite zu ziehen wie dort. Grenzwertig.

Der gleiche Blick etwa 9 Stunden später. Es ist morgens um 8 und der leere Platz wird gereinigt, in wenigen Stunden fängt das Spektakel wieder an. Blick im Hintergrund auf das Cafe Argana, in dem 3 Wochen nach unserer Reise eine Bombe detonierte.

Letzter Abend der Reise. Wir saßen in Casablanca zu Fuße der Hassan II. Moschee, die Sonne war weg, es wurde immer nebliger und die Beleuchtung bildete eine eigene Dunstglocke, man hörte das Meer an die Brandung schlagen, der Muezzin räsonierte im Klangkörper des Gebäudes und wir (nagut, nur ich) beschmadderte mich beim Versuch frische Orangen zu essen.

(Alle Bilder CC-by-nc-sa)

Gern gemachte Fehler

Ich weiß nicht ob es eine Allergie ist, aber auf Orangensaft reagiere ich allergisch. Mein Gaumen zieht sich zusammen und ich beginne um die Augen zu schwitzen. Es schmeckt pelzig. Ich bereue es jedes Mal sofort und jedes mal aufs Neue. Es ist ein Fehler den ich regelmäßig begehe. Laß es die kindliche Konditionierung durch zu viel Valensina-Werbespots sein, aber ich krieg manchmal einfach einen Jieper darauf und wenn ich irgendwo Orangen oder Orangensaft sehe ist der Wunsch größer als die Vernunft, die defakto in dem Moment wie weg geblasen ist.

Saft! Jetzt!

Ich setze zum Trinken an, nehme den ersten Schluck. Dann die Ernüchterung.

Es gab eine Ausnahme: Auf einer Reise durch Marokko gab es die schöne Tradition jeden Tag mit frisch gepresstem Orangensaft zu begießen. Was in Deutschland 2,50€ kostet gibt es dort für 40ct Einheitspreis frisch gekühlt und frisch gepresst aus der Frucht. Es ist eine kleine Wonne an einem warmen Abend; ich habe es nie bereut und sehe mich regelmäßig diesen Saft zurück.
Zurück in Deutschland bekam ich dann wieder Orangensaftsimulat vorgesetzt, während sich die Leute um mich herum die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wie ich in Marokko hätte sowas trinken können. Indest schnürt es mir die Kehle zu.

Gedanken aus Marokko Teil 2

Messunschärfe
In den Medinas der Stadt bist du ein Fremdkörper. Mit deiner Kleidung, deinen Blicken, deiner Art. Du willst gucken, aber deine Blicke reflektieren. Du wirst vom Betrachter zum Betrachteten. Du schneidest ein.


Kein Chamälion, deine Herkunft verrät dich.
Fremdschämen, die Deutsche Touristin am Nachbartisch mit blanken Knien, schulterfrei und Sonnenbrand


Um es nett zu sagen ist es ungewohnt. In den Souks Marrakeschs erhälst du ein unbekanntes Maß an Aufmerksamkeit. Händler rasseln als Werbung für ihren Stand, Quatschen dich quer an, geben dir ungewollt Richtungshilfe, die du weder willst, noch brauchst und im Zweifelsfall eher verwirrt. Manche Wenige bleiben an deinen Hacken kleben oder versuchen dich zu fest zu halten. Hier wird es wirklich unangenehm.
Es ist Meatspace-Spam.
Jeder Reisende mit dem ich Sprach ist davon genervt. Die Werbung zielt auch nur auf Touristen und ich bin geneigt zu fragen, ob so mehr Leute verschreckt werden als effektive zu Kunden zum Geschäft überredet werden. Anscheinend muss es sich ja lohnen lauter zu schreien.


Zooombies!


Von seinem Stand in den Souks aus versucht sich jemand Aufmerksamkeit zu machen. “Excuse-moi! Excuse-moi!” – Entschuldigen sie mich, entschuldigen sie mich!
Hier entschuldigt sich jemand für das Stören bedingt durch seine Entschuldigung. Ich denk ok und ignoriere es.


Mäuschen. in einem Cafe zwar die einzigen Touristen – meine Begleitung die einzige Frau – sind aber von den Einheimischen fast gänzlich unbeachtet. Man geht seines Lebens nach, isst trinkt, diskutiert. Der Lautstärkepegel steigt. Neben dem Tee steht Wasser und arabisch beschriftete Coca-Cola.


Du gehst einen Weg im Dorf entlang und begegnest Einheimischen.

“Assama alaikum”
“Wa alaikomo salam”
“Bon jour, Çava?”
“Çava bien, merci”

Eine freundliche Begegnung, ein kurzes Gespräch hinweg über 3 Sprachen: eine Einladung. Er erzählt von der Gegend, während er dich zu sich nach Hause lädt. Sein Zuhause eine einfache Lehmhütte, wohl gekühlt in der Wüste, halb in den Stein geschlagen. Rechts der Eselstall, daneben die Ziegen, eine mitgenommene Tür führt über eine unbeleuchtete krumme Treppe in die Küche. Im Innenhof spielen die Kinder und werden kurz vorgestellt, nur von weitem begrüsst die Frau kurz. Du wirst geleitet in einen langen Seitenraum, mit Teppich und Kissen ausgelegt, dazwischen ein Teetischchen. Die kargen verputzten Wände verziehrt durch einen schiefen verlaufenen Streifen Farbe – an der Decke Stuck aus einem Berliner Altbau in Zweitverwendung. Tee vom Kocher, dazu ein Brotfladen, Olivenöl zum Dippen. Du sitzt in kleiner Runde redest, schweigst, die Gedanken rasen. Ehrfurcht, Respekt, Fazination. Die Situation erscheint absurd, das jedes Gefühl weicht Dankbarkeit der zukommenden Gastfreundschaft. Eine andere Welt reicht dir die Hand.

“Besalam”
“Shokran”

Außerhalb jeglicher Zeitwahrnehmung verlässt du die Szene überwältigt und zutiefst beeindruckt über deinen ersten echten Berber-Whisky.


Du betrachtest nicht, du hast Anteil.

Gedanken aus Marokko Teil 1

Vor einem Monat war ich auf Rucksackreise für 2 Wochen in Marokko. Es war schön, überwältigend und beeindruckend. Ich habe bewusst kein Reisetagebuch geführt, jedoch einige Gedanken mitgeschrieben, die mir während der Reise gekommen sind. Hier ist Teil 1, dieser Gedankenbröckchen.


Unerzählte Geschichten.

Vom Hotelzimmer aus habe ich Blick auf einen kleinen Park am Rande der Medina. Umringt von Bänken verbirkt sich unter eben einer solchen eine unerzählte Geschichte eines Hundes, eines kleinen Mädchens mit weißen Strümpfen und einem einsamen Paar Schuhe. Die Welt des Hundes ist diese Bank. Nie ist er weiter weg als 3mal seine eigene Länge. Er schläft, er wacht und quieckt erbärmlich, wenn jemand vorbei tritt. Das kleine Mädchen ist eine Ausnahme. Sie darf auf die Bank, hält aber Respekt vor dem Hund. Das Paar Schuhe ist nicht ihres. Morgen sind sie wieder da.

2 Wochen später ebenso.


Teeeeeee


Es klingt wie ein Sangeswettstreit der Feuerwehrsirenen, aber das so zu nennen wäre natürlich unsensibler interkultureller Mumpiz und eine Verhöhnung des stadtüberziehenden Gesangs der Muezzin. Und mal ehrlich, wer sich davon stören lässt ist auch beim Mittagsschläfchen nicht entschuldigt.


Die HassanII Moschee mag durch ihre Grösse und ihre Gestalt ihre Bedeutung haben ist Zentrum des kulturellen Lebens. Sie ist kein Magnet für Touristen und aber für Augen, erschlägt mit ihrer Grösse und erzeugt Respekt vor Gewalt und der Ausstrahlung.
Blickt man neben das Bauwerk gewart sich der Blick auf den Atlantik. Umringt von einer Promenade auf der die Jugend die zufällige Begegnung der Geschlechter betreibt. Abseits der Promenade liegt die Steinküste zum Atlantik. Es ist Ebbe, Kinder spielen auf den Steinen, Wattwanderer und Jungen durchsuchen die Steinritzen nach Kostbarkeiten und Krebsen. Ein Taucher steigt aus den Wellen. Damen in langen bunten Djellabas heben sich von weitem auf dem felsigen Untergrund ab.

Östlich der großen Moscheehalle ist in den Stein gehauen ein Schwimmbecken. Gespeist von einer Meerzunge im Gestein wird es aufgefrischt direkt vom Ozean. Das Gestein ist schwarz, die Ränder uneben. Davor, drumherum, darin baden und genießen die Jungen Männer Casablancas das frische Nass. Es ist kein Ort für Frauen. Gehe bitte weiter.
150m weiter entlang der Promenade erreicht man eine Müllheide.


Das Bild vom einsamen Esel in der Wüste


Einen Schritt im Wasser der Fint Oase zu machen heißt auf ein halbes Duzend Frösche auf zu schrecken. Ich habe noch nirgends soviele Frösche erlebt wie in der Wüste. Dauerhaft umgeben von Froschgesang fragte ich S. ob “die auch irgendwann mal die Schnauze halten!” – “Wohl kaum.” entgegnete sie.
Am folgenden Tag regnete es. Wir schauten auf die Oase hinaus ein Frosch beginnt zu quacken. Wir gucken uns entsetzt an: “Sie sind still!”


Felder, Ödnis, Weide, dazwischen ein Gemälde. Claude Monets “Mohnfeld bei Argenteuil” zeichnet sich auf der Landschaft ab. Das Landhaus und die Damen sind gegangen, doch zurück blieb die weite grüne Wiese mit ihren roten Punkt im selben
Licht der Sonne.


Der Moment ist da, S. fantasiert darüber sich grünen Marokkanischen Tee über das Haar zu geben und erklärt das warum sehr glaubwürdig.


Es tropft, es ist windig, es ist kalt, die Bürgersteige sind rutschig. Ich bin in Ourzazate am Rande zur Wüste und das Wetter beißt unter der Jacke. Im Kaffee lese ich zu überzuckertem Tee über Quantengravitation als Zusammenfûhrung von Quantenmechanik und Allgemeiner Relativitätstheorie.


Ãœber Bergkämme, auf Serpentinen entlang von Bergschluchten und über Bergkämme schlängelt sich der Reisebus in bis zu 2300 m Höhe durch den Atlas. Gleich einer Achterbahn in Zeitlupe. Vorne wie hinten wird Mitfahrern schlecht.


Korrellation vs Kausation: S. betritt als erstes im das Zimmer, zückt ihr Handy, geht ins Netz und summt “the internet is for …, why you’d think the net was born? …, …, …!” Sie spricht es nicht aus, wird aber schon wissen wie es weitergeht.


Bustouren sind gut um eine Erkältung und einen groben Ãœberblick über die Stadt zu bekommen, insbesondere der Stadtteile, die man nicht sehen will.


Die Andere. Ich kam an dem Abend dazu 4 Sätze zu lesen, ehe mir die Reisegruppe am Nachbartisch ein Glas Wein rüberschob und mich in ihre Runde einladete. Es wurde ein langer und schöner Abend, der uns für die letzten Tage eine neue Reisebegleiterin einbrachte, nachdem wir tagsdavor bereits ein Berliner Päarchen an die Rückreide verloren.
Darauf hatte ich hehofft, darauf hatte ich mich gefreut: Reisende kennen zu lernen, ihre Geschichten zu hören. Es brauchte eine Woche und die richtigen Leute, doch geben erst sie den perfekten Abschluss für eine gelungene Reise. Danke Hete, Jan und Ursula!